Roger Schmelzer
Autor

Über mich

 

Die kurze Fassung:

Geb. 1966, aufgewachsen in Ostwestfalen, 1985 Abitur in Brakel
1984-86 Freier Mitarbeiter der "Neuen Westfälischen" in Höxter
1987-92 Studium an der Universität zu Köln
1992-97 Kurzfilme an der Filmwerkstatt der Uni Köln, Leitung von 16mm-Anfänger- und Fortgeschrittenenkursen
1992 Co-Produzent des Spielfilms "Etwas ist immer" (Regie: Zekko Weber)
1995 Leitung der Filmwerkstatt der Uni Köln
seit 1997: Professioneller Autor


Die ganze Wahrheit:

Geboren wurde ich 1966 in Wermelskirchen, aber den größten Teil meiner Kindheit und Jugend verbrachte ich in Ostwestfalen. Genauer gesagt: Im Hinterland von Ostwestfalen. Das ist eine sehr eigene Gegend. Sie bringt das Kunststück fertig, zugleich mitten in Deutschland zu liegen, aber trotzdem völlig abgeschieden zu sein.
Eine kurze Anfahrtsbeschreibung: Man fährt von Köln, Düsseldorf oder dem Ruhrgebiet aus immer weiter nach Osten, bis man sich im absoluten Niemandsland befindet. Dann ist man da. Von hier aus hat man zwei Möglichkeiten: Über die Weser weiterfahren in die deprimierende Leere des westlichen Niedersachsen. Oder nach Süden in die von Gott und den Menschen verlassene Einöde von Nordhessen. Beides lohnt den Aufwand nicht, also bleibt man besser, wo man ist. 
Das folgende Bild zeigt einen der zentralen Verkehrsknotenpunkte des Kreises Höxter an einem besonders belebten Tag:



Noch in den siebziger Jahren lebte man bei uns in einer Art Zeitblase. Hier blieb man unbehelligt von den bedrohlichen Auswüchsen der modernen Zivilisation, denen man in den Großstädten so oft begegnete: Drogen, berufstätige Frauen und die SPD. So verbrachte ich eine behütete Jugend - in Wermelskirchen wäre aus mir möglicherweise ein Punk oder Skinhead geworden, in unserem ost-ostwestfälischen Dorf aber war der Besuch von Teeabenden der Katholischen Landjugendbewegung das, was einer rebellischen Drogenkarriere am nächsten kam.

Ich merkte bald, dass ich dort ganz gut hineinpasste. Bis dahin hatte man von mir gesagt: "Was für ein stiller Junge. Spricht er auch?" Hier aber lag ich mit meiner Schweigsamkeit ganz und gar im Durchschnitt. Die Zurückhaltung der Ostwestfalen ist sprichwörtlich. Man begrüsst sich mit einem energisch vor sich hingeknurrten „Tach!“, und wenn man dabei die Mundwinkel für den Bruchteil einer Sekunde zu einem angedeuteten Lächeln verzieht, bedeutet das, dass die Person, der eine solche Entgleisung passiert,
a) rettungslos in ihr Gegenüber verliebt ist oder
b) ein Vermögen im Lotto gewonnen hat und nun die ganze Welt an ihrer überschäumenden Freude teilhaben lassen will.
Dass ich mich mal mit humoristischen Texten beschäftigen würde, war also nicht vorherbestimmt. Im Gegenteil: Im östlichen Ostwestfalen löst der Satz "Ich erzähl' jetzt mal einen Witz" in etwa dieselbe empörte Fassungslosigkeit aus wie anderswo der Ausspruch "Alle mal Nase zuhalten! Ich hab nen Monsterfurz auf der Pfanne!" Also verlebte ich viele Jahre in tiefer Ernsthaftigkeit und völliger Abgeschiedenheit.

Schließlich kam ich 1987 nach Köln, um Geschichte, Philosophie und Soziologie zu studieren. Leider allerdings hielt das Studium nicht das, was ich mir davon versprach – und ich vermutlich umgekehrt auch nicht das, was sich die Universität von mir versprochen hatte.
Die ersten Semester verbrachte ich in einer Art abwartender Lauerhaltung: Irgendwann würde das hier schon interessant werden, wenn ich nur genug Geduld aufbringen würde. Bis dahin
widmete ich mich erfreulicheren Dingen: Theaterspielen und Filme machen. Allerdings blieb ich schließlich dabei und kehrte nicht mehr zu meiner ursprünglichen Beschäftigung zurück. Ein Gewinn für beide Seiten, für mich und die Universität.

Mein erster größerer Kurzfilm war ein düster-verstörendes Schwarzweiß-Epos mit dem Titel „Liebe Mutter“, in dem ein vereinsamter pollundertragender Student nachts in den Straßen der Großstadt Frauen jagt und sie vergewaltigt.
Damit schaffte ich es auf mehrere Festivals und belegte beim Satire-Filmfest in Rüsselsheim, auf das mein Film aus einer bizarren Laune des Organisators heraus eingeladen worden war, einen achtbaren fünften Platz.
Auf dem Höhepunkt meines Erfolges lief „Liebe Mutter“ sogar auf der Berlinale (zwar nur im Filmmarkt, aber das störte mich nicht). Während der Vorführung verließen vier der etwa 12 Zuschauer – die meisten gehörten zum Filmteam – kreidebleich den Raum und gaben später an, einen solchen Psychohorror nicht verkraften zu können. Da wusste ich, dass all die Arbeit und Begeisterung, die ich investiert hatte, die vielen Stunden im Schneideraum, nicht umsonst gewesen waren: Mein Film hatte etwas im Publikum ausgelöst, wenn auch möglicherweise nur einen Fluchtinstinkt. Eine Underground-Filmzeitung schrieb eine hymnische Kritik, die mit den Worten „Mehr von diesem Hauptdarsteller, mehr von diesem Regisseur!“ schloss.

Leider stellte sich jedoch im Laufe der Dreharbeiten heraus, dass die Produktion von Filmen eine sündhaft teure Angelegenheit ist. Anders gesagt: "Liebe Mutter" hatte mich finanziell ruiniert. So musste ich das Metier wechseln – und daher ist mein Erstlingsfilm identisch mit meinem Spätwerk.
(Mein Hauptdarsteller dagegen blieb der Schauspielerei in künstlerisch anspruchsvollem Produktionen treu. Das letzte Mal sah ich ihn einige Zeit später in einem  gesellschaftskritischen Avantgarde-Theaterstück, bei dem er zwei Stunden lang völlig nackt die leere Fabrikhalle, in der die Produktion stattfand, wieder und wieder umrundete, dabei den Blick aggressiv auf das Publikum richtete und in Endlosschleife die Worte „Bürger, lasst das Glotzen sein, reiht euch in die Demo ein“ wiederholte.)

Meine finanzielle Situation besserte ich auf, indem ich mir einen Job als Nachtpfleger in der geschlossenen Psychiatrie suchte. Die Menschen, mit denen ich von nun an beruflich zu tun hatte, litten an Größen- und Verfolgungswahn, paranoiden Episoden, neurotischen Zwängen, drogeninduzierten Psychosen, die zu völlig verzerrter Realitätswahrnehmung führten, Borderlinestörungen und aggressiven manischen Schüben. Mit anderen Worten: Ich bereitete mich perfekt auf die Welt des Fernsehbusiness vor, die ich in Kürze betreten sollte.

Lange Jahre Heimat der Schreibstelle Süd: Kölns bekannteste Baulücke

Kurz darauf begann ich nämlich, zusammen mit zwei Freunden, Peter Gitzinger und Thomas Baumann, unter dem schnittigen Pseudonym "Schreibstelle Süd" Sketche zu schreiben.

Unser erstes Werk entstand für die "Hurra Deutschland"-Puppen und wurde 1997 während der WM-Auslosung ausgestrahlt - vor 12 Millionen Zuschauern. Damit hatten wir den Höhepunkt unserer Popularität zum frühstmöglichen Zeitpunkt erreicht.

In meiner Heimat wurde meine Entscheidung, meinen Lebensunterhalt damit zu verdienen, andere Leute zum Lachen zu bringen, gemischt aufgenommen: Einige meiner Verwandten reagierten entsetzt, andere dagegen mit empörter Verbitterung. Lediglich meine Großmutter zeigte sich erleichtert - sie war, als man ihr erzählte, dass es schlechte Nachrichten über mich gab, zunächst vom Schlimmsten ausgegangen: dass ich evangelisch geworden sei. Auf die tatsächliche Wendung reagierte sie zwar mit instinktiver Abscheu, doch immerhin bestand offenbar noch Hoffnung auf die Rettung meiner unsterblichen Seele und somit auf eine Wiederherstellung der Familienehre zumindest in einem späteren Leben.

Etwa zehn Jahre später saß ich im Büro eines freundlichen Lektors bei Kiepenheuer & Witsch. Ich hatte mir eine Auszeit von der Fernseharbeit genommen und meinen ersten Roman geschrieben: "Die besten zehn Sekunden meines Lebens", die Entwicklungsgeschichte eines (natürlich) ostwestfälischen Jungen, der sein Leben nach allen Regeln der Kunst vermasselt und - statt von seiner Midlife-Crisis überwältigt zu werden - eine zweite Chance erhält.
Zu meiner Freude erfuhr ich, dass der Verlag das Manuskript veröffentlichen würde, wurde aber gleichzeitig darüber aufgeklärt, dass in der Literaturwelt nur eine einzige Möglichkeit gibt, einem persönlichen finanziellen Desaster zu entgehen, nämlich einen Bestseller zu schreiben. Ich fragte ihn, wie die übrigen Autoren des Verlages unter diesen Umständen ihren Lebensunterhalt bestritten.
"Gar nicht", antwortete er, "üblicherweise heiraten sie Lehrerinnen."

Nachdem "Die besten zehn Sekunden" ein Achtungserfolg, aber kein Bestseller wurde, und ich keine Lehrerin für mich gewinnen konnte, fuhr ich fort, fürs Fernsehen und vermehrt auch für Bühnenprogramme zu schreiben. Und dabei bin ich bis heute geblieben. Wenn sich daran etwas ändert, werde ich es euch natürlich wissen lassen.